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: Nichts Neues aus Neunkirchen: 0:5 gegen Bayern

Durch die Toilette zur Tribüne

In der ersten Viertelstunde ist schon alles drin. 4. Minute: Ein paar Dutzend Nicht-zuschauen-Könner klettern im mehr als ausverkauften Ellenfeldstadion aus den hintersten Stehrängen über den Zaun aufs Tribünendach. 6. Minute: Der Ordnungsdienst wacht auf: „Kommen runner, ihr breche durch, des is doch alles nur Wellblech.“ 10. Minute: Rau flankt, Santa Cruz köpfelt, 1:0. 12. Minute: Das Sondereinsatzkommando der Polizei trifft am Tatort ein, entert sehr entschlossen das Tribünendach. 14. Minute: Foul an Scholl im Strafraum, Ballack schießt den Elfmeter, 2:0. 15. Minute: Die ersten Kletterer werden zum Zwangsabstieg verdonnert, unschöne Worte fallen. Zur Überraschung aller wird dann doch das Tor zur noch reichlich Stehplatz bietenden Haupttribüne geöffnet, die kletternden Kuttenträger strömen herein, man tauscht sich aus („Was? Schon 2:0?“), telefoniert mit daheim („Schatz, tu mol die ‚Sportschau‘ uff Video uffhole, mir komme bestimmt im Fernsehn.“) und beschäftigt sich endlich mit den wirklich wichtigen Fragen: „Unn wer geht jetzt Bier hole?“

Borussia Neunkirchen gegen Bayern München: Vor 39 Jahren noch ein spannendes Spiel um die Qualifikation für die höchste deutsche Spielklasse (mit dem besseren Ende für die Saarländer), heute für die einen „das“ Spiel schlechthin, für die anderen weniger als ein Trainingskick. Mit annähernd körperlosem Spiel gewinnt der deutsche Meister gegen den Tabellenfünfzehnten der Oberliga Südwest zwar 5:0, vor allem aber Erkenntnisse: 1. dass Roque Santa Cruz nach viermonatiger Pause im Spiel eins nach Elber schon wieder prima als Torjäger funktioniert: drei Treffer in 70 Minuten. 2. dass Roy Makaay ebendieses immer noch nicht tut. 3. dass der erstmals von Beginn eingesetzte Argentinier Martin Demichelis sich zu einem knorrigen, für Bayern-Gegenspieler äußerst unangenehmen Verteidiger entwickeln wird, der weiß, wie man regelgerecht die Ellbogen einsetzt. 4. dass Mehmet Scholl, schon beim letzten 6:0-Pokalsieg der Bayern vor elf Jahren in Neunkirchen dabei, sich trotz Torerfolgs in der 75. Minute schwer tut, seine Position in der Bayern-Offensive zu finden. 5. dass Sebastian Deisler auch gegen die eifrigen, aber limitierten Amateure nicht sonderlich viel gelang.

Ansonsten war das Kapitel Neunkirchen schnell abgehakt: 29 Minuten nach dem Schlusspfiff rollte der Bayern-Bus schon wieder an den Bierzelten vorbei durch die Menge. Ottmar Hitzfeld hatte die Pressekonferenz, neben Waschmaschine und Trockner eines Sponsors sitzend, flott und in gewohnter Sportsmannmanier absolviert („Das war nicht so einfach, wie es ausgesehen hat“), derweil die Spieler Dusche, Interviews und Autogrammspießrutenlauf durch den engen Kabinengang flugs hinter sich brachten. Servus, Borussia. Keine Zeit für das exquisite Mahl des Sternekochs in der zur VIP-Lounge geadelten Turnhalle, kein Blick für die nach fast 50 Jahren endlich renovierte Gaststätte Borussen-Heim, wo man immer noch durch die Damentoilette zu den Stehrängen gelangt.

Die Borussia wollte nicht realisieren, dass alles schon wieder vorbei ist, dieser Fußball-Hype mit Zusatztribüne, 23.000 Zuschauern und vielleicht ein paar zu viel verkauften Eintrittskarten. Trainer Jürgen Mörsdorf träumte noch ein bisschen: „Wenn die ersten Tore nicht so schnell fallen und wir unsere Chancen nutzen, dann wäre schon was drin gewesen.“ Nun ja, dreimal schossen Borussen Richtung Tor. Auch Thorsten Freyer, Vermögensberater und Makaay-Gegner, war kurz nach Schluss noch nicht ganz von dieser Welt: „Er hat ja, glaub ich, kein Tor geschossen, oder?“ Nein, hat er nicht, eine Tatsache, aus der auch Borussen-Torhüter Sascha Purket so einiges an Befriedigung zog: „Der kann von mir aus nächste Woche gegen was weiß ich wen sein erstes Tor machen.“ Nächste Woche haben die Bayern noch Pause, bereiten sich auf ihre eigentliche Saison vor: die Champions League. Neunkirchen spielt gegen die 2. Mannschaft des 1. FC Saarbrücken, noch so eine verblasste Größe. Es wird ausreichend Karten geben, niemand wird aufs Dach steigen müssen. THOMAS BECKER